Es ist ein Spektakel, als der ehemalige Finanzrat des Herzogs von Württemberg, Joseph Süßkind Oppenheimer, am 4. Februar 1738 hingerichtet wird. Auf dem Marktplatz von Stuttgart herrschen volksfestartige Zustände, Bier und Wein werden ausgeschenkt, es gibt Schmähschriften zu kaufen und Spitzhüte mit Spottgedichten. Zwölf Meter hoch ist der Galgen, an dessen Ende Oppenheimers Leichnahm in einem eigens für diesen Zweck angefertigten Käfig sechs Jahre lang zur Schau gestellt wird – um allen Juden zu zeigen, was sie erwartet, wenn sie sich außerhalb der ihnen auferlegten gesellschaftlichen Grenzen bewegen.
Die Autorin und Gerichtsreporterin Raquel Erdtmann rollt diesen Justizmord neu auf. Auf Grundlage der Prozessakten und anderer zeitgenössischer Quellen erzählt sie von der historischen Person Joseph Oppenheimer, lange bevor er als ‚Jud Süß‘ zur literarischen Figur bei Wilhelm Hauff und Lion Feuchtwanger und schließlich zum antisemitischen Zerrbild im Propagadafilm von Veit Harlan wurde – und entwirft gleichzeitig ein aufschlussreiches Porträt des jüdischen Lebens im Deutschland des 18. Jahrhunderts.
Moderation: Christian Dinger
Raquel Erdtmann ist in Ost-Berlin aufgewachsen und studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt am Main unter Peter Iden und Hans Hollmann. Seit ihrem Studium arbeitet sie als freie Theaterschauspielerin, Sprecherin, Illustratorin und Autorin. Sie ist Gerichtsreporterin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Die Zeit. Eine Sammlung ihrer Gerichtsreportagen ist unter dem Titel Und ich würde es wieder tun (2019 bei S. Fischer) erschienen. Im True-Crime-Podcast Vor Gericht spricht sie mit Marcus Roloff über die beeindruckendsten Fälle, die sie im Gerichtssaal erlebt hat.