»Einmal jährlich, am Todestag ihrer Mutter, frühstückte Isabel von einem der Teller aus Mutters gutem Service – eine Ausnahme. Zwei Scheiben Brot mit altem Käse. Darunter wurden Stück für Stück zwei Hasen sichtbar: ein Schwänzchen, eine Pfote, ein Ohr.«
Niederlande, 1961: Isabel lebt allein in dem großen, von der Zeit gezeichneten Haus ihrer verstorbenen Mutter. Die Tage ziehen geordnet und ereignislos dahin, bis ihr Bruder Louis seine ungehobelte Freundin Eva bei Isabel einquartiert. Plötzlich geraten nicht nur die strengen Routinen des Alltags durcheinander, sondern auch das Haus scheint sich zu verändern. Es verschwinden Gegenstände – ein Löffel, ein Messer, eine Schale – und Isabel wird immer misstrauischer gegenüber Eva, die nicht das zu sein scheint, was sie vorgibt. Trotzdem entwickelt sich in der flirrenden Sommerhitze eine unerwartete Anziehung zwischen den beiden Frauen, die Isabels festgefügtes Weltbild erschüttert. Die Vergangenheit, die Isabel zu verdrängen versucht hat, holt sie endgültig ein und auch der Krieg ist noch immer nicht ganz vorbei.
Mit In ihrem Haus (aus dem Englischen übersetzt von Stefanie Ochel) hat Yael van der Wouden einen atmosphärisch dichten Roman über die Macht verdrängter Geheimnisse geschrieben, mit dem sie 2024 als erste Niederländerin überhaupt auf der Shortlist des Booker Prize stand.
Moderation: Jan Wilm
In Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.
Yael van der Wouden ist Schriftstellerin und Dozentin im niederländischen Utrecht und lehrt Kreatives Schreiben und Vergleichende Literaturwissenschaft. Für ihre Kurzgeschichten und Essays, die sich mit Jüdischsein und queerer Identität auseinandersetzen, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. In ihrem Haus ist eins der meistbesprochenen Bücher 2024.
Jan Wilm ist Autor, Übersetzer und Literaturkritiker. 2016 erschien von ihm das Buch The Slow Philosophy of J. M. Coetzee, 2019 der Roman Winterjahrbuch.