Anna Yeliz Schentke

»Kangal«

19:30

»Im Mai 2013 hatten die Proteste begonnen, und schnell war allen klar, dass es sich nie um einen Kampf um Bäume gehandelt hatte.« Im Istanbul der Gegenwart blickt Tekin zurück auf die Proteste auf dem Taksim-Platz, die sich vorgeblich gegen das Fällen von Bäumen im Gezi-Park richteten, im Kern aber gegen das Regime demonstrierten. Das ganze Ausmaß der Nachwirkungen wird Tekin, seiner Freundin Dilek und deren in Deutschland lebenden Cousine Ayla erst Jahre später bewusst. Die unerbittliche Verfolgung von Demonstrierenden und vermeintlich Beteiligten am Putsch hat Spuren hinterlassen: Beziehungen und Freundschaften werden in Frage gestellt, und die Angst, ins Visier der Polizei zu geraten, nimmt Züge an, bei denen die Protagonisten selbst nicht mehr sicher sind, wo die notwendige Vorsicht aufhört und Paranoia beginnt. Dilek wagt den Ausbruch und zieht nach Frankfurt, doch die Arme des Staatsapparates reichen weit.

Auf herausragende Weise gelingt es Anna Yeliz Schentke in ihrem vielstimmigen Debütroman Kangal, unsere politische Gegenwart anhand dreier individueller und miteinander verflochtener Beziehungen zu fassen, ohne das Private gegen das Politische auszuspielen. Ihre Hauptfiguren Dilek, Ayla und Tekin sind Suchende, die im Spannungsfeld zwischen autoritärer Bedrohung und dem Wunsch nach Freiheit neu ausloten müssen, was Freundschaft und Zugehörigkeit bedeuten.

Moderation: Björn Jager

Anna Yeliz Schentke ist 1990 in Frankfurt geboren, aufgewachsen und lebt auch heute dort. Das letzte Mal in Istanbul war sie Ende 2015. Im Frühjahr 2020 nahm sie an der Schreibwerkstatt der Jürgen Ponto-Stiftung teil und stand im Herbst 2020 auf der Shortlist des Wortmeldungen-Förderpreises. Kangal ist ihr Debütroman.