Wie geht das, das mit dem Ankommen – oder geht das überhaupt? So oder ähnlich könnte die Kernfrage lauten, die Dinçer Güçyeter und Ralph Tharayil in ihren Romanen verhandeln, und das ist nicht die letzte Gemeinsamkeit von Unser Deutschlandmärchen und Nimm die Alpen weg. Beide erzählen von Familien mit Einwanderungsgeschichte, von den Erfahrungen, die man macht, wenn man als „fremd“ gelesen wird – und beide sprengen, was man gemeinhin versteht unter dem Label „Roman“. Güçyeter beginnt in Anatolien, lässt Großmutter und Mutter zu Wort kommen, integriert Fotos, Lyrik, verbindet das Mythische mit dem Prosaischen, den Chor mit der Gastarbeitererfahrung. Tharayil legt einen Roman in Versform vor, dessen Zeilen von einfacher Klarheit geprägt sind und in denen ein Wir spricht, ein Geschwisterpaar. Dass wir uns in der Schweiz befinden, lässt sich nur am Velo festmachen, dass wir es mit einer migrantischen Geschichte zu tun haben, nur an der „anderen“ Sprache der Eltern, den schwarzen Haaren, der Haut, die sich von der anderer Kinder unterscheidet. Und kommen diese beiden Bücher formal auch noch so unterschiedlich daher, treffen sie sich doch wieder an einem Endpunkt: Poetischer lässt sich von Entwurzelung, Migration und Fremdheit nicht erzählen.
Moderation: Beate Tröger
Dinçer Güçyeter, geboren 1979 in Nettetal, ist Lyriker, Verleger und Gabelstaplerfahrer. 2012 gründete er den ELIF Verlag, in dem 2017 sein erster Gedichtband Aus Glut geschnitzt erschien. 2022 erhielt er für den Band Mein Prinz, ich bin das Ghetto den Peter-Huchel-Preis, die renommierteste Auszeichnung für einen Lyrikband. Unser Deutschlandmärchen ist sein erster Roman.
Ralph Tharayil, 1986 als Sohn indischer Migranten in der Schweiz geboren, studierte in Basel u.a. Medien- und Literaturwissenschaft. Er hat als Werbetexter, Journalist und Performer gearbeitet und Prosa und Lyrik in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht. 2017 wurde er beim open mike ausgezeichnet. Nimm die Alpen weg ist sein Debütroman.