Judith Keller & Noemi Somalvico

Kurz und gut

19:30

» Das lesende Reh erfuhr durch eine Lehrtafel im Wald, dass seine Nachkommen die Brut heissen. Es musste es zwei Mal lesen.«

»Fasse dich kurz!« – Der Imperativ, der vor einigen Jahrzehnten noch neben jedem öffentlichen Fernsprecher angebracht war, findet in der gegenwärtigen Literaturproduktion eher wenig Gehör. Mit dem Roman dominiert eine erzählerische Langform den deutschsprachigen Buchmarkt, die Kurzprosa hingegen fristet schon seit langer Zeit ein Nischendasein. Zu Unrecht, finden wir – und laden deshalb in loser Folge Autor*innen von Kurz- und Kürzestprosa ein, um den kleinen Formen eine mittelgroße Bühne zu bereiten.

Den Anfang machen Judith Keller und Noemi Somalvico, die nicht nur beide aus der Schweiz kommen, sondern auch beide das Talent besitzen, mit nur wenigen Worten die Möglichkeit einer ganz anderen Welt zu eröffnen.

In Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten widmet sich Somalvico dem zwischenmenschlichen Gefühlschaos, den romantischen Liasions, den Anfängen und den Enden von Zärtlichkeit. Es wird gesehnt, geküsst, gebissen und spioniert – und das alles auf wenigen Seiten je Geschichte. Noch kürzer fasst sich Judith Keller in Ein Tag für alle. Ihr genügen wenige Sätze – oder oft auch nur ein einziger – um eine Wirklichkeit zu erschaffen, die eigensinnig und lustvoll an unseren sprachlichen Gewohnheiten rüttelt. 

Moderation: Christian Dinger

Mit freundlicher Unterstützung durch Pro Helvetia.

Judith Keller & Noemi Somalivico
© Ayse Yavas / Thomas Wüthrich

Judith Keller, geboren 1985 in Lachen in der Schweiz, studierte Germanistik in Zürich und Literarisches Schreiben in Leipzig und Biel. Zudem studierte sie in Berlin und Bogotá Deutsch als Fremdsprache. Keller war Redakteurin der Literaturzeitschrift EDIT. 2016 erschien ihr Debüt Wo ist das letzte Haus, es folgte der Erzählband Die Fragwürdigen und die Romane Oder? und Wilde Manöver. Für Wilde Manöver wurde Keller mit dem Schweizer Literaturpreis 2024 prämiert. Keller lebt und arbeitet in Zürich.

Noemi Somalvico, geboren 1994 in Solothurn, studierte Literarisches Schreiben und Contemporary Arts Practice in Biel und Bern. Anschließend arbeitete sie in Schulen und für den Film. 2022 erschien ihr Debüt Ist hier das Jenseits, fragt Schwein, das mit dem Förderpreis Komische Literatur 2023, dem Literaturpreis des Kantons Bern und weiteren Auszeichnungen prämiert wurde. 2023 war sie zu Gast im Literarischen Colloquium Berlin. Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten ist ihr erster Erzählungsband.