Kaleb Erdmann

»Die Ausweichschule«

19:30

»Mich interessiert, was man darf, beende ich den Satz. Sich eine Geschichte nehmen, sich einer Geschichte anzunehmen, einer brutalen gewaltvollen Geschichte, das kommt mir anmaßend vor.«

 

Mehr als 20 Jahre ist es her, dass der namenlose Erzähler in Kaleb Erdmanns neuem Roman den Amoklauf von Erfurt als Schüler erlebt hat. Er hatte die Tat unbeschadet überstanden, der Anblick von Tod und Verletzung war ihm erspart geblieben – und doch treibt ihn seit einiger Zeit das Erlebte fast obsessiv um. Er versucht, sich der eigenen Geschichte literarisch zu nähern, scheitert aber ein ums andere Mal, nicht zuletzt am eigenen Zweifel: Mit welchem Recht erzählt er, der Unversehrte, diese Geschichte eigentlich? Wo liegen im Erzählen moralische Grenzen? Wer vermag zu entscheiden, welche Erinnerung wahr und welche gemacht ist, wo Voyeurismus beginnt, wann man Geschichten zum eigenen Nutzen ausschlachtet und wann sie wiederum einen gesellschaftlich relevanten Beitrag darstellen?

Mit Die Ausweichschule gelingt Kaleb Erdmann ein Kunststück: über Ethik zu sprechen, ohne zu moralisieren. Der Schlüssel dazu ist ein Protagonist, der sich behutsam seinem Trauma nähert und sich dabei eine zarte Selbstironie gegenüber den eigenen neurotischen Zügen bewahrt, ein Mensch, der sich mit unbedingtem Willen zur Differenzierung Fragen stellt, auf die es keine simplen Antworten gibt.

Moderation: Björn Jager

Kaleb Erdmann
©Jakob Kielgass

Kaleb Erdmann, Jahrgang 1991, studierte Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, sowie Soziologie und Politische Theorie in München und Frankfurt am Main. Er war Finalist des open mike und sein erster Roman wir sind pioniere wurde mit dem Debütpreis der LitCologne ausgezeichnet. Zuletzt schrieb er für das Berliner Ensemble das Stück Always Carrey On. Kaleb Erdmann lebt und arbeitet in Düsseldorf.