»A. macht von ihrem Recht zu Schweigen Gebrauch. Sie verweigert die Aussage, nun, da man ihr zuhören würde. Lieber will sie die Leerstelle bleiben, der blinde Fleck im System, den sie jahrelang dargestellt hat, weil es leichtfiel, sie zu übersehen.«
In einer Geschichte über Großkapital, Bad Banks und strauchelnde Medienkonzerne am Vorabend der Finanzkrise von 2008 spielen zugekokste Egomanen in Nadelstreifenanzügen die Hauptrolle, würde man annehmen. Doch Isabelle Lehn rückt in Die Spielerin eine ganz andere Figur ins Zentrum eines Finanzskandals: A. ist die Unauffälligkeit in Person. Eine Telefonistin in einer Nachrichtenagentur, von der sich kaum jemand das Gesicht merken kann, geschweige denn den Namen. A. ist unsichtbar – und genau das ist ihre geheime Stärke, die es ihr ermöglicht von der kleinen Bankangestellten aus der niedersächsischen Provinz zur weltweit operierenden Buchhalterin der kalabrischen Mafia zu avancieren.
Isabelle Lehn erzählt A.s Geschichte von den Rändern her, aus der Perspektive derjenigen, die sie übersehen und unterschätzt haben. Nach und nach werden die Schichten des Skandals freigelegt, der das Leben so vieler unterschiedlicher Menschen auf den Kopf gestellt hat. Auf diese Weise entsteht nicht nur ein spannender Finanzkrimi über eine unscheinbare Heldin, sondern auch ein aufschlussreiches Gesellschaftsporträt der frühen Nullerjahre.
Moderation: Christian Dinger
Isabelle Lehn, geboren 1979 in Bonn, lebt heute in Leipzig und schreibt erzählende und essayistische Prosa. Sie ist promovierte Rhetorikerin, Autorin des mehrfach ausgezeichneten Debütromans Binde zwei Vögel zusammen und zuletzt des Romans Frühlingserwachen. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien, zuletzt den Dietrich-Oppenberg-Medienpreis für ihren Aufsatz Weibliches Schreiben (S. Fischer hundertvierzehn), der sich mit der geschlechtsspezifischen Rolle von Autor:innen im Literaturbetrieb auseinandersetzt.