Julia Wolf

»Du, hier«

19:30

»Das ist kein Selbstmitleid, denkt sie. Das ist etwas anderes. Das ist ein Verschwinden, aber von innen heraus. Das ist, was sie schon immer wollte.«

 

Wenn den Protagonistinnen in Julia Wolfs Storys etwas gemein ist, dann vielleicht das Verschwindenwollen. Wünscht sich die Erzählerin in »Pfirsich, Tropfen, Faust«, körperlos zu sein, träumt Stella in einer anderen Story von einer Existenz als bloßer Rumpf. Ruth wiederum versteckt sich aus Überforderung hinter einem Wasserfall aus Wörtern und Gedankenfetzen – und Friederike denkt immer wieder zurück an den einen Tag in ihrer Jugend, als ihr Kumpel sie abblitzen ließ und sie vor Scham im Boden versinken wollte. Auch diese Erinnerung aber ist nur ein Versteck – nämlich vor der viel größeren Scham, die eine Begegnung mit Conrad ein Jahr später hinterlassen hat. Und dann gibt es noch diese andere Form des Abtauchens, wenn zum Beispiel Wandas Mann sich mit den Söhnen in den Urlaub verabschiedet oder Loretta in ihrem Truck eine Wagenladung durch Deutschland kutschiert: Verschwinden, das bedeutet hier manchmal auch einfach, bei sich zu sein.

In ihrem Erzählband Du, hier versammelt Julia Wolf elf Frauenfiguren, die einen auch lange nach der Lektüre begleiten, weil es Julia Wolf gelingt, ohne jeden Widerspruch Souveränität und Zerbrechlichkeit gleichzeitig in ihnen aufscheinen zu lassen. Sie zeigen ihre Wunden, ihre Abgründe, ihre Wut und, wenn es sein muss, auch ihre Fäuste.

Moderation: Björn Jager

Julia Wolf
© Franziska Rieder

Julia Wolf ist Autorin und Übersetzerin, sie lebt in Berlin. Für ihre schriftstellerische Arbeit wurde sie vielfach ausgezeichnet, so gewann sie 2017 den 3sat-Preis des Ingeborg-Bachmann-Preises und war mit ihrem Roman Walter Nowak bleibt liegen für den Deutschen Buchpreis nominiert. Als Mitglied von Liquid Center hat sie 2024 den Kollektivroman Wir kommen herausgegeben, 2025 war sie für ihre Übersetzung von Samantha Harveys Umlaufbahnen für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.